20. September 2024

45. Hausärztinnen- und Hausärztetag in Berlin

© HÄVBW

Der Erhalt einer zukunftsfähigen hausärztlichen Versorgung stand am 19. und 20. September im Mittelpunkt des 45. Hausärztinnen- und Hausärztetags in Berlin. Die Delegierten des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands verabschiedeten dabei wichtige versorgungspolitische Anträge und Positionen.
 

Kritik an Verzögerungen bei der Entbudgetierung

Die Bundesvorsitzenden Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth (Vorstandsvorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands Baden-Württemberg) und Dr. Markus Beier äußerten scharfe Kritik an der Verzögerung der überfälligen Entbudgetierung. „Es scheint für manche Politiker:innen jedes Mal eine Überraschung zu sein, dass ihre Gesetzesvorhaben nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis funktionieren müssen. Die Überschriften sind da, aber es mangelt an der Umsetzung,“ kritisierte Prof. Dr. Buhlinger-Göpfarth in ihrem Bericht zur Lage. Das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz, das unter anderem die Entbudgetierung von Teilen der hausärztlichen Versorgung vorsieht, stecke in endlosen politischen Prozessen fest. Die Bundesvorsitzenden forderten eine schnelle Umsetzung und Nachbesserung. Alle Leistungen der Hausarztpraxen müssten entbudgetiert werden, nicht nur die nach Kapitel 3 des EBM.

-> Bericht zur Lage der Bundesvorsitzenden
 

Unterstützung für den Leitantrag

Die Delegierten unterstützten diese Forderungen und stimmten für den Leitantrag, der den Gesetzgeber auffordert, das GVSG zügig umzusetzen und die hausärztliche Versorgung langfristig zu fördern. Die Entwicklung des Orientierungspunktwerts zeige, dass die Regelversorgung nicht mehr in der Lage sei, die hausärztliche Versorgung angemessen zu vergüten. „Eine Punktwertsteigerung von 3,85 % reicht vorne und hinten nicht, um auf die steigenden Kosten zu reagieren. Es war nichts anderes zu erwarten,“ resümierten die Bundesvorsitzenden. Die Delegierten forderten den Bewertungsausschuss auf, die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Verhandlungen des Orientierungspunktwerts kritisch zu hinterfragen und Vorschläge zu entwickeln, wie künftig zielführende Verhandlungen zur Berücksichtigung der Kostensteigerungen in den Praxen gestaltet werden können.

-> Der Leitantrag
 

Stärkung der hausarztzentrierten Versorgung (HZV)

Die einzige Perspektive für Hausärztinnen und Hausärzte biete die Hausarztzentrierte Versorgung (HZV). Diese müsse langfristig und nachhaltig gestärkt werden. „Die Zukunft einer Primärversorgung in Deutschland gibt es nur im freiwilligen Primärarztsystem, und das ist die HZV,“ betonte Prof. Dr. Buhlinger-Göpfarth. Man sehe ein starkes Wachstum und fast 10 Millionen Patient:innen seien in die HZV eingeschrieben. Für diese Versicherten fordern die Delegierten einen Bonus, wer sich für Versorgungssteuerung entscheide, müsse dafür belohnt werden. Gefordert wird auch der Ausbau von Facharztverträgen, die an die HZV-Verträge angeschlossen sind, wie sie bereits im HZV-Vertrag mit der AOK BW umgesetzt werden. Auch der Teampraxiskontakt, der im HZV-Vertrag mit der AOK BW bereits Realität ist, wird in allen Verträgen gefordert.
 

Ablehnung der geplanten Notfallreform

Der geplanten Notfallreform erteilten die Delegierten eine Absage. Eine Leistungsausweitung mit 24/7 telemedizinischem Notdienst und aufsuchendem Bereitschaftsdienst sei aus Sicht der Praxis weder sinnvoll noch mit den aktuellen Ressourcen umsetzbar. Die Ausweitung der hausärztlichen Versorgung in Kliniken, wie in der Krankenhausreform vorgesehen, sei keine Lösung für den Hausärztemangel. „Es kann keine hausärztliche Versorgung in ineffizienten stationären Strukturen geleistet werden,“ erklärten die Bundesvorsitzenden.
 

Forderung nach politischer Positionierung

Die Delegierten unterstützten einen Antrag aus Baden-Württemberg, der die demokratischen Parteien auffordert, sich in ihren Parteiprogrammen konkret zur hausärztlichen Versorgung und zur HZV zu positionieren. Das Thema Gesundheit sei ein demokratiestabilisierender Faktor, zu dessen Sicherung erhebliche Anstrengungen notwendig seien.
 

Förderung des HÄPPI-Konzepts

Die Delegiertenversammlung forderte den Gesetzgeber und die Krankenkassen auf, das HÄPPI-Konzept („Hausärztliches Primärversorgungszentrum – Patientenversorgung Interprofessionell“) aktiv zu fördern und den Rahmen zu schaffen, weitere Modellversuche zu initiieren. Die ersten Erkenntnisse aus der Pilotierung in Baden-Württemberg seien sehr positiv, um das Konzept flächendeckend auszurollen, müssten nun die Wirksamkeit und Praxistauglichkeit des HÄPPI-Konzepts in verschiedenen Versorgungsumgebungen evaluiert werden.
 

Digitalisierung im Fokus

Die Delegiertenversammlung fordert den Gesetzgeber auf, alle Krankenhäuser und Gebietsarztpraxen zeitnah mit geeigneten KIM-Zugängen auszustatten und strukturierte Entlass- bzw. Arztbriefe zu gewährleisten. Zudem soll das Geschäftsmodell von Telemedizinanbietern nicht zu Lasten der hausärztlichen Versorgung gehen. Es sollen faire und transparente Vergütungssysteme sichergestellt werden. Den Praxen soll ein Handout zur praktischen Umsetzung der ePA bis zur verpflichtenden Einführung bereitgestellt werden. Außerdem sollen Sanktionen abgeschafft und eine sinnvolle Digitalisierung umgesetzt werden.
 

Förderung von Nachhaltigkeit in der Versorgung

Die Delegierten fordern die Industrie auf, Einmalartikel durch wiederverwertbare Produkte zu ersetzen und den Einsatz von Kunststoffen auf ein Minimum zu reduzieren. Der Gesetzgeber wird aufgefordert, Grundlagen für Klimaneutralität im Gesundheitswesen zu schaffen, darunter die Einführung eines digitalen Produktpasses, die Einpreisung umweltbezogener Kosten, nachhaltige Hygieneanforderungen und erleichterte Reparaturbedingungen für Medizinprodukte.

 

Fotos: © HÄV / Marco Urban


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