22. Juli 2024

Stefanie Seemann MdL: „Die HZV muss mehr in die Öffentlichkeit getragen werden“

Fotos: HÄVBW

Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth und Stefanie Seemann
Auf Initiative des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands Baden-Württemberg (HÄVBW) finden zahlreiche Besuche von Politiker:innen in Hausarztpraxen im Land statt. Auch die Grünen-Landtagsabgeordnete Stefanie Seemann hat die Gesprächseinladung angenommen und sich in der Praxis der HÄVBW-Vorstandsvorsitzenden Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth in Pforzheim zu den Herausforderungen und Zukunftskonzepten der hausärztlichen Versorgung ausgetauscht.
 

An der Anmeldung hat sich eine Schlange geduldig wartender Patient:innen gebildet, im Hintergrund klingelt das Telefon mit beständiger Regelmäßigkeit und wird ebenso unentwegt von den Mitarbeiterinnen in der Praxis von Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth beantwortet. Dazwischen fragt die Chefin nach dem nächsten Patienten für die Sonografie, um ihn wenig später ins Untersuchungszimmer zu begleiten. Es ist ein typisch geschäftiger Montagvormittag für das Team des Hausarztzentrums in Pforzheim-Huchenfeld – mit einer Ausnahme: Zusätzlich zu den Patient:innen hat sich an diesem Tag noch Stefanie Seemann angekündigt, die für Bündnis 90 / Die Grünen im Landtag von Baden-Württemberg vertreten ist. Auf Initiative des HÄVBW möchte sie mit der Praxisinhaberin über die Herausforderungen in der hausärztlichen Versorgung sprechen.

„Ich freue mich über das Interesse der Politik“, begrüßt Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth die Landtagsabgeordnete wenig später in einem der Behandlungszimmer, während in den angrenzenden Räumen die Sprechstunde durch ihre angestellten Kolleginnen weiterläuft. „Wir platzen aus allen Nähten, nachdem wir eine große Anzahl von Patient:innen aus anderen Praxen, die aus der Versorgung ausgestiegen sind, aufgenommen haben“, sagt die Praxisinhaberin, die zudem HÄVBW-Vorstandsvorsitzende und Vorsitzende des Bundesverbands ist.

Der „real existierende Versorgungsdruck“ auf ihr Praxisteam ist exemplarisch für das Grundproblem: Inzwischen sind nur noch knapp über 30 Prozent der Ärzt:innen im hausärztlichen Bereich tätig und damit fast 70 Prozent spezialisiert fachärztlich. Das empfohlene Verhältnis sei genau umgekehrt – und das nicht ohne Grund: „Ein resilientes, gutes Gesundheitssystem braucht einen Grundstock an hausärztlicher Versorgung“, so Prof. Dr. Buhlinger-Göpfarth.

Dass sich inzwischen so wenige angehende Kolleg:innen für die Arbeit in der Hausarztpraxis entscheiden, liegt nach Auffassung von Nicola Buhlinger-Göpfarth an den schlechten Rahmenbedingungen einschließlich der schlechten Ausgestaltung des einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM), der die Grundlage für die Abrechnung vertragsärztlicher Leistungen im System der Kassenärztlichen Vereinigung bildet. Dieser Umstand sei auch der Grund dafür gewesen, dass in Baden-Württemberg vor mehr als 15 Jahren die Hausarztzentrierte Versorgung (HZV) als alternative Regelversorgung initiiert worden ist. Mit ihrem auf Pauschalen basierten Abrechnungssystem bietet die HZV nicht nur wirtschaftliche Vorteile für Ärzt:innen: Wissenschaftliche Untersuchungen belegen die positiven medizinischen Effekte seitens der in die HZV eingeschriebenen Patient:innen, insbesondere bei Vorliegen chronischer Erkrankungen.

Stefanie Seemann betont, dass sie selbst überzeugte HZV-Teilnehmerin ist. Sie spricht sich dafür aus, dass „die HZV mehr in die Öffentlichkeit getragen wird“, auch um bei den Patient:innen ein Bewusstsein dafür zu schaffen, „dass sie mit ihrer HZV-Teilnahme ihre Hausarztpraxis stärken“. Zudem plädiert die Grünen-Landtagsabgeordnete für sektorenübergreifende Versorgungsstrukturen, was Prof. Dr. Buhlinger-Göpfarth untermauert: „Es macht absolut Sinn, den Patienten in den Mittelpunkt der Versorgung zur rücken“, sagt sie und verweist auf das Versorgungsmodell HÄPPI, „Hausärztliches Primärversorgungszentrum – Patientenversorgung Interprofessionell“, das der Hausärztinnen- und Hausärzteverband entwickelt hat und das seit 1. Juli in zehn HÄPPI-Praxen in Baden-Württemberg pilotiert wird.

Auf Stefanie Seemanns Frage, was sich die HÄVBW-Vorsitzende von der Landespolitik wünsche, nennt Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth neben der Unterstützung des HÄPPI-Konzepts auch, „dass der Masterplan 2020 für das Medizinstudium endlich umgesetzt wird“ und die Hausarztmedizin bereits im Studium den Stellenwert erfährt, der ihr zusteht. Denn, so Nicola Buhlinger-Göpfarth: „Nur die Besten werden Hausärztinnen und Hausärzte. Das liegt daran, dass unsere Arbeit mit einem hohen Grad an Unsicherheit verbunden ist: Wir sehen ein riesiges Spektrum an Krankheitsbildern und müssen Diagnosen im Verlauf herausarbeiten. Wir stellen also keine Grundversorgung sicher, sondern sind Spezialisten auf unserem Fachgebiet.“   

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