14. März 2025
Studie: HÄPPI kann die Versorgung revolutionieren

Tom Weller
Das Interesse an den Erkenntnissen aus der wissenschaftlichen Begleitung der HÄPPI-Machbarkeitsstudie war am Freitagmittag groß. Hausarztpraxisteams sowie Vertreter:innen aus Politik, Gesundheitswesen, Wissenschaft und Medien kamen in Stuttgart zusammen, um sich über die Forschungsergebnisse und die Erfahrungsberichte der Praxen zu informieren.
Vorausgegangen war eine sechsmonatige Machbarkeitsstudie im zweiten Halbjahr 2024, die vom Hausärztinnen- und Hausärzteverband Baden-Württemberg in Zusammenarbeit mit den Vertragspartnern im HZV-Vertrag der AOK Baden-Württemberg durchgeführt und vom Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg im Rahmen des Kabinettsausschusses Ländlicher Raum gefördert worden war. Bundesweit erstmalig hatten zehn Hausarztpraxen in Baden-Württemberg das Versorgungskonzept unter wissenschaftlicher Begleitung der Universität Heidelberg im Praxisalltag erprobt.
Zum Auftakt der Ergebnispräsentation ging die Co-Vorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands Baden-Württemberg, Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth, auf die weltpolitisch schwierige Lage ein und mahnte: „Die Gesundheitsversorgung ist eines der zentralen gesellschaftlichen Themen und beeinflusst zunehmend politische Entscheidungen. Ein niedrigschwelliger Zugang zur Primärversorgung stabilisiert unsere Demokratie.“ Bereits 2008 habe die WHO allen Staaten dringend empfohlen, mehr in die primäre Versorgungsebene zu investieren. „Alle anderen Länder haben das gemacht. Deutschland hängt hier international hinterher.“
Auch der baden-württembergische Minister für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, Peter Hauk (CDU) betonte in seiner virtuellen Keynote: Der Hausärztemangel ist eine der größten Herausforderungen für den ländlichen Raum. Wir müssen sicherstellen, dass die Versorgung überall da verfügbar ist, wo sie gebraucht wird. HÄPPI als Konzept kann genau dabei unterstützen. Ich freue mich, dass wir diese Projekt mit Mitteln aus dem Kabinettsausschuss ländlicher Raum fördern konnten.“
Prof. Dr. Attila Altiner, Ärztlicher Direktor Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung am Universitätsklinikum Heidelberg, ging ebenfalls auf die Versorgungskrise und damit auf den Hintergrund der Studie ein: Aufgrund von Hausärztemangel, aber auch wegen der Vielzahl arztferner Tätigkeiten sinkt die für die Versorgung der Patient:innen verfügbare Arztzeit. Gleichzeitig sorgt der demografische Wandel für steigenden Versorgungsbedarf. Das Ziel von HÄPPI ist es, dieses Spannungsfeld zu lösen. Das Versorgungskonzept vereint zu diesem Zweck mehrere Ansätze miteinander: Interprofessionelle Versorgung im Team, Patientenzentrierung, gezielte Versorgungssteuerung, hybride Versorgung mit Hilfe funktionierende Digitalisierung und die Förderung der Gesundheitskompetenz.
„Ziel der Studie war es, zu untersuchen, ob das HÄPPI-Konzept machbar ist, ob es für Praxen unterschiedlicher Größen geeignet, also skalierbar, ist, und ob die Art der Unterstützung während der Pilotierung geeignet und das Konzept damit implementierungsfähig ist“, so Prof. Dr. Attila Altiner. Vor dem Hintergrund dieser Fragestellungen sind für die Pilotierung Praxen unterschiedlicher Größen und Strukturen ausgewählt worden. Über alle Praxen hinweg hat die wissenschaftliche Untersuchung laut Prof. Dr. Altiner Folgendes gezeigt:
- HÄPPI ist für jede Praxis geeignet:
Jede Praxis, unabhängig von Größe und Struktur, kann erfolgreich auch HÄPPI werden. Patient:innen unterstützen diesen Wandel aktiv. - HÄPPI erfordert Changemanagement:
Die Umstellung betrifft alle Ebenen und das gesamte Team. Ein wirtschaftlicher Rahmen ist dafür unerlässlich. - HÄPPI stärkt die Versorgung:
Praxen können mehr Patient:innen bei gleichbleibender Qualität versorgen. HÄPPI bietet eine Lösung gegen den Hausärztemangel.
-> Die vollständigen Ergebnisse sind auf den Folien der Universität Heidelberg
Praxisnah untermauert wurden die wissenschaftlichen Erkenntnisse durch die Erfahrungsberichte von drei der zehn Pilotpraxen. Anschaulich berichteten die HÄPPI-Teams, wie sich die Arbeitsweise in der Praxis, die Zusammenarbeit im Team und der Einsatz von digitalen Tools durch HÄPPI verändert hat. Für die Co-Vorstandsvorsitzende des HÄVBW, Dr. Susanne Bublitz, wurde aus dem angeregten Gespräch deutlich: „HÄPPI erfordert einen Change-Prozess auf allen Ebenen der Praxisorganisation. Besonders in der Prozessoptimierung sind personelle und wirtschaftliche Ressourcen nötig. Dieser initiale Aufwand muss bei der Implementierung abgebildet werden. Hier ist ausdrücklich auch die Unterstützung der Kassen und der Politik gefragt.“
Angesprochen war damit auch der Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg, Johannes Bauernfeind. Er betonte in seinem Impulsvortrag: „HÄPPI bietet das Potenzial, dass Menschen die heute Morgen oder übermorgen einen Anlaufpunkt brauchen, wissen dass es noch eine Anlaufstelle gibt. Das HÄPPI-Konzept kann für die Zukunft der primärärztlichen Versorgung ein zentraler Baustein sein und die dringend notwendigen Strukturreformen für eine koordinierte sektorenunabhängige Versorgung unterstützen. Dazu zählen die HÄPPI-Elemente Delegation, Steuerung, Digitalisierung und Patientenzentrierung. Die gewonnenen Erkenntnisse zu HÄPPI wollen wir nun mit den Vertragspartnern konzeptionell aufbereiten und abstimmen, wie wir sie sukzessive in die Fläche bringen können. Das wird ein Prozess sein und wir müssen begeisterte Praxen finden.“
Der baden-württembergische Minister für Soziales, Gesundheit und Integration, Manfred Lucha (Grüne) bedankte sich bei den Praxen für Engagement und betonte in seiner abschließenden Keynote: „Interprofessionelle Versorgung schafft einen Mehrwert. Starke Hausarztpraxen, die die Versorgung koordinieren, sind nicht nur ökonomisch, sondern auch medizinisch wichtig. Keine Fehlallokation am richtigen Ort das richtige Angebot, das brauchen wir. Mein Credo: Digital vor ambulant, vor stationär und hier leistet HÄPPI einen wichtigen Beitrag.“
Ein großes Ziel des Projekts war es mehr darüber zu erfahren, wie man die Praxen dabei unterstützen kann HÄPPI zu werden. Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband Baden-Württemberg hat daher aus dem gesammelten Wissen der 6-monatigen Pilotphase eine Workbook erstellt, das praxisnah veranschaulicht, wie die Schritte zum HÄPPI gegangen werden können. Das Workbook gibt es als eBook auf haevbw.de/haeppi.
Alles rund um den 23. Hausärztinnen- und Hausärztetag
-> Delegiertenversammlung: Anträge und Beschlüsse
-> Pressemitteilung zur Delegiertenversammlung
-> Pressemitteilung zur HÄPPI-Ergebnispräsentation
-> Berufspolitische Diskussion zum Einsatz von KI in der Hausarztpraxis
-> Elevator-Pitch: Digitalisierung im Schnelldurchlauf
-> First Five Academy verabschiedet erste Absolvent:innen
-> Rückblick in Bildern